Persönlicher Einblick Spitalseelsorge: Jörg Leutwyler
Wir sind das Salz des Spitals ...
Ich bin im Januar 2023 als Spitalseelsorger im Luzerner Kantonsspital an den Standorten Sursee und Wolhusen gestartet. Dabei ist jeder Tag eines Spitalseelsorgers eine seltsame Reise zwischen zwei Welten: Auf der einen Seite bewegen wir uns in einer hoch technisierten und funktionalistischen Gesundheitsorganisation, mit ihrer Hierarchie, ihrer Soziologie, ihren eigenen Zielen, die sich um Leistung und Effizienz drehen, mit ihren Patientenlisten, ihrer Datenbank, ihren Team-Sitzungen usw. Die «Krankenhaus AG» ist die Welt der Objektivität. Auf der anderen Seite sind wir täglich mit der Krankheit als «innige Katastrophe» (eine Formulierung, die ich von der jungen französischen Philosophin Claire Marin übernommen habe) und dem Geheimnis der Grenzen und des Todes konfrontiert: die Welt der Subjektivität.
In der ersten Welt handeln wir als Fachleute, die hoch spezialisiert sind auf Techniken der Begleitung und Unterstützung und als Mitglieder eines interdisziplinären Teams, das einer Patientin und einem Patienten dient.
In der zweiten Welt agieren wir als Tragende eines Glaubens, den die erste Welt willentlich und radikal ignoriert; dieser Glaube ist weder proselytisch noch apologetisch. Er ist im Gegenteil geradezu mäeutisch. Er ruft jeden dazu auf, eine persönliche Überzeugung zu entwickeln, die auf Hoffnung und Vertrauen in Gott beruht, auch inmitten der intimsten Katastrophen des Lebens. Er verwandelt die Figur des Patienten in ein Individuum, das auf der Suche nach seiner Identität und seiner Andersartigkeit ist, was die Spirtual Care sehr zurückhaltend als «Sinn» bezeichnet. In der ersten Welt treffen wir also Patienten, in der zweiten Welt treffen wir aber Mitmenschen auf der Suche nach sich selbst.
Ich arbeite jeden Tag in dieser Reihe von Spannungsfeldern voller Herausforderungen und es ist aufregend. Die Herausforderung besteht gerade darin, das Gleichgewicht zwischen diesen beiden Welten in dialektischer Spannung zu halten, eine Spannung, die wir in einem System, das im Gegenteil nur nach funktionalistischer Ruhe strebt, ständig aufrechterhalten müssen; wir, die Spitalseelsorgenden, sind die Hüter dieser dialektischen Spannung. Wenn sie verschwindet, sind wir nichts mehr, nur noch «geschmacklose» Dienstleistende. Und «wenn das Salz seinen Geschmack verliert, womit kann man ihn ihm wiedergeben? Es nützt nichts mehr, als dass es hinausgeworfen und von den Menschen mit Füßen getreten wird» (Matthäus 5,13). Wir sind das Salz der «Krankenhauses AG». Es ist gut so und es sollte so bleiben.
Verfasst von Jörg Leutwyler, Spitalseelsorger Luzerner Kantonsspital Sursee und Wolhusen