Persönlicher Einblick Notfallseelsorge: Christoph Beeler-Longobardi
Samariter für die Seele ...
Die Geschichte vom barmherzigen Samariter (10,30-35) ist eine lebensnahe Anleitung für unsere Arbeit in der Notfallseelsorge. Sie enthält alle Elemente, die hilfreich sind, ein einschneidendes Erlebnis zu begleiten, als Notfallseelsorger, Care Giverin oder Mitmensch, die jemandem in existenzieller Not beistehen.
Care-Arbeit beginnt meistens mit Hilflosigkeit. Wenn durch Todesfall, Unfall oder Suizid Undenkbares plötzlich Realität ist, wird alles leer: Kopf und Herz – oder so voll, dass einzelne Gedanken und Gefühle nicht mehr greifbar sind. Wer beistehen will, hat diese Gedanken und Gefühle einzuordnen und Erlebtes in eine Reihenfolge zu bringen. Dann offenbaren sich Bedürfnisse: Nähe zu Angehörigen, Informationen über Hergang oder Zukunft, ein Glas Wasser oder der Wunsch, gegen die unsagbare Situation etwas zu tun. Durch die Erfahrung von Selbstwirksamkeit wird die Hilflosigkeit kleiner.
Indem der Samariter sich dem Verletzten zuwendet, nimmt er diesen wahr und gibt ihm Sicherheit. In aller Verunsicherung, die durch traumatische Ereignisse entsteht, lassen Care-Giver spüren, dass Betroffene aufgehoben sind, ihre Fragen nach dem Warum stellen und ihre Sorgen äussern dürfen. Sie haben ein Gegenüber, das zuhört und einordnet und hilft, zu realisieren, was unabänderlich ist und ausserhalb jeder Einflussmöglichkeit liegt. Im gemeinsamen Verstehen wächst Vertrauen – nicht nur zum Care Giver – sondern zum Leben und zur Zukunft.
Der Samariter begleitet den Verletzten aus dem Tal des Schreckens. Care-Arbeit führt weg vom Ereignisort, der buchstäblich hinter sich gelassen werden soll. Das Leben kennt viele lebensfreundliche und sichere Orte, an die man sich erinnern kann. Sie geben Kraft und Hoffnung. Dort wächst die Zuversicht, dass die Verunsicherung nicht bleibt, sondern sich wandeln kann.
Der Samariter vertraut dem Wirt und bringt den Verletzten in eine Herberge. Ein Care-Einsatz endet meist nach wenigen Stunden. Darum ist es wichtig, das soziale Netzwerk, das bei ausserordentlichen Ereignissen im ersten Moment nicht greifen kann, zu stabilisieren. Vertraute Verwandte, Freunde und Nachbarinnen, Arbeitgeber und Schulen bilden Netze, die zum Tragen kommen sollen. Sie geben Halt, das Erlebte gemeinsam durchzustehen. Stärkende Erlebnisse aus der Vergangenheit und die Erfahrung, dass man Krisen gemeinsam durchstehen kann, sind Ressourcen, die Hoffnung für die Zukunft geben. Ein Care Giver, der sich überflüssig macht, ist ein guter Care Giver. Denn Notfallseelsorge soll nicht binden, sondern freigeben.
Der Samariter geht nicht, ohne dem Wirt seine Unterstützung zu versichern. Vor dem Abschluss eines Care-Einsatzes werden Betroffene und ihre Angehörigen darüber informiert, dass Appetitlosigkeit, Konzentrationsschwäche, Schreckhaftigkeit, Schlafstörung und weitere Symptome normalen Körperreaktionen sind, mit denen das Erlebnis verarbeitet wird. Sie würden kontinuierlich abnehmen. Dabei wird auch ein Merkblatt abgegeben, das alles Wichtige festhält, ebenso wie die Kontaktangaben zur Notfallseelsorge/Care Team.
Verfasst von Christoph Beeler-Longobardi, Co-Leiter ökumenische Notfallseelsorge/Care Team