Persönlicher Einblick Hochschulseelsorge: Pfarrer Lorenzo Scornaienchi
Sing mir das Lied … vom Leben! Meditieren mit den Psalmen
Mit diesem Motto, das sich an den Titel eines bekannten Spaghetti-Westerns anlehnt – er hiess «Sing mir das Lied vom Tod» –, kann ich eine persönliche Erfahrung aus der Zeit des ersten Lockdowns der Corona-Pandemie beschreiben. Zu jener Zeit stand das Universitätsgebäude leer, die Mensa war geschlossen und die Bibliothek nur für die Ausleihe und Rückgabe von Medien geöffnet. Damals fand ich in meiner Privatbibliothek zufällig ein Büchlein aus den 1950er Jahren, eine Einführung in die Psalmen von Dietrich Bonhoeffer, «Das Gebetbuch der Bibel». Die Lektüre dieses Büchleins hat mir Kraft und Trost gegeben, gerade in dem traurigen Klima der Pandemie. Der Theologe Bonhoeffer, ein Märtyrer des Naziregimes, schrieb, dass er jeden Tag mit den Psalmen betete.
Aus dieser persönlichen Erfahrung heraus entstand in mir als Hochschulseelsorger die Idee, einmal wöchentlich für alle Studierenden im Raum der Stille eine Meditation zu den Psalmen anzubieten. Dieser Raum ist als Ruheraum konzipiert, in den sich alle Studenten und Mitarbeiter zum Gebet, zum Meditieren oder für eine Verschnaufpause in der Stille zurückziehen können. Die Einrichtung ist insofern integrativ, als sie keine spezifischen religiösen Symbole aufweist, die für manche Menschen anstössig sein könnten. In einem Regal stehen die Schriften der Weltreligionen zum Lesen zur Verfügung.
Die Idee der Meditation und des Sitzens im Kreis stammt ursprünglich aus der fernöstlichen religiösen Praxis. Dazu gehört in der Regel auch die Stille. Als reformierter Theologe fühle ich mich aber dem Gott, der spricht, verpflichtet. In der Zeit der Pandemie fand ich die kursierende Idee eines schweigenden Gottes unerträglich. Für mich ist die Stille in einer Meditation wie die Pausen in der Musik - sie unterstreicht die Bedeutung der Worte und ist nicht als Leere oder als Negation des Wortes zu verstehen. Rund um die Meditation über die Psalmen am Mittwochmittag bildete sich eine Gruppe Studierender, die die Schönheit der biblischen Texte wahrnahm. Die Absicht war nicht, zu erklären oder zu interpretieren, sondern die Worte einfach in uns nachklingen zu lassen. Die Psalmen waren ursprünglich Lieder, die dem musikalischen König David zugeschrieben wurden. Es sind Lieder vom Leben, die auch heute noch Menschen in allen Lebenssituationen ansprechen und stärken können. «Sing mir das Lied ... vom Leben», dachte ich jedes Mal, bevor ich über die Psalmen meditierte. Ich habe die Psalmenmeditationen weitergeführt und möchte in Zukunft noch mehr Lieder des Lebens im Raum der Stille erklingen lassen.
Lorenzo Scornaienchi
Pfarrer und Hochschulseelsorger an der Hochschule Luzern